Doch auch diese gemeinsame Zeit hatte ihr Ende, wir gingen ein weiteres Mal getrennte Wege und es begann für uns beide der Ernst des Lebens. So traf ich kurz nach dem Wehrdienst meine spätere Ehefrau Conny und zog mit ihr zusammen in den Großraum Stuttgart, um mein Studium zu beginnen. Conny war Berufsreiterin und arbeitete dort in einem bekannten Reitstall und wir fühlten uns in der Welt der Pferde sehr wohl. Eines Tages fragte uns der Gestütsleiter, ob wir nicht in einen bekannten Reitstall ganz in der Nähe mitkommen. Gesagt, getan, doch was mich dort erwartete war für mich nahezu unfassbar. Es war die nächste zufällige Begegnung mit Jürgen. Mein Freund hatte in diesem Stall sein Pferd eingestellt, da er ganz in der Nähe von Ludwigsburg seine Lehre absolvierte und so führte uns das Leben einmal mehr zusammen. Unser Wiedersehen war ein großes Hallo und wir vereinbarten, dass wir uns nach meinem Studium und seiner Ausbildung ab sofort regelmäßig in unserer oberschwäbischen Heimat treffen. Dem war auch so und wir verabredeten uns danach in kurzen Abständen und starteten mit unseren Pferden oft zusammen auf den Reitturnieren in unserer Heimat.
Unvergesslich blieb ein Skiausflug nach Südtirol im Februar 1992. Gemeinsam mit unseren Frauen – Jürgen war in der Zwischenzeit ebenso verheiratet wie ich – genossen wir den Winter und am Abend meinte Jürgen: „Berthold, Du hast es doch geschafft! Du hast eine klasse Frau, zusammen habt ihr jetzt einen Sohn, baut gerade ein Haus mit Pferdestall im Grünen und im Job bist Du ebenfalls sehr erfolgreich“. Ich meinte nur: Morgen kann alles vorbei sein. Und so war es... Conny verunglückte eine Woche später mit einem jungen Hengst bei einem Geländeritt tödlich und auf einmal war ich Witwer und alleinerziehender Vater.
Und hier zeigte sich, wie wertvoll wahre Freundschaft ist, denn Jürgen war in dieser schweren Zeit für mich da, redete mit mir, wenn die Trauer wieder einmal zu groß erschien und erinnerte mich immer an die schönen gemeinsamen Stunden. Unsere Freundschaft wurde über all die Jahre so tief, dass wir keine Geheimnisse mehr voreinander hatten und uns gegenseitig Mut zusprachen, wenn der eine oder andere von uns Zweien eine schwierige Lebenssituationen zu überwinden hatte und davon gab es einige. In den letzten Jahren hatten wir ein kleines Ritual gefunden, das unsere Freundschaft untermauerte. Jeden Montagmorgen, wenn wir zur Arbeit fuhren, riefen wir uns an und erzählten uns die neuesten Erlebnisse und mussten dabei nach wie vor herzhaft über alte Geschichten beim Bund und mit den Pferden lachen. Es war Balsam für meine Seele, einen solchen Freund in guten und in schlechten Zeiten zu haben.
Wir hatten noch viel vor, doch vor zwei Jahren rief mich Jürgen aus dem Auto an und erzählte mir von viel Stress im Geschäft und Problemen in der Ehe. Ich sagte ihm, er solle gelassen bleiben und immer daran denken, dass auf Regen noch jedes Mal die Sonne aufging. Dies war unser letztes Telefonat, denn Jürgen erlitt zwei Stunden später einen Schlaganfall und starb kurz darauf. Heute wäre er 60 Jahre alt geworden und er fehlt nicht nur seiner Familie und vor allem seinen Söhnen; er fehlt auch mir seit seinem Abschied sehr. Doch gute Freunde kann bekanntlich niemand trennen und so hatte ich heute mit seiner Familie Kontakt und wir haben vereinbart, gemeinsam auf Jürgen anzustoßen. In Corona-Zeiten zwar jeder für sich, doch bald werden wir dies wieder gemeinsam tun. Denn wahre Freundschaft hält ein Leben lang und aus meiner Sicht auch darüber hinaus. So lange Menschen in Freude an ihre Verstorbenen denken, sie in gemeinsam erlebten Geschichten wiederaufleben lassen, so lange werden diese Menschen immer in unseren Herzen lebendig bleiben.
Darum bewahre auch Du Deine Familienmitglieder und Freunde, welche nicht mehr unter uns sind, in Deinem Herzen und teile Erinnerungen an sie mit anderen Menschen.
Herzlichst Dein Berthold